Von der Insel aufs Festland
Die Anfänge des steirischen Fußballs begannen vor 130 Jahren. Bevor wir uns dem südlichen Raum der damaligen Donaumonarchie genauer widmen, bewegen wir uns zum Ursprung des heutigen Breitensports.
Neben den Leicht- und Schwerathletiksportarten wie Boxen, Gewichtheben und Ringen, entstanden Tennis, der Ruder- und Radsport wie auch der Fußball in England. Erste Regeln für den letztgenannten neuen Ballsport wurden bereits im Jahr 1846 von Studenten der Cambridge Universität niedergeschrieben. Als allererster Fußballverein der Welt gilt der 1857 gegründete Sheffield F.C. In den folgenden Jahren wurden von der neu gegründeten Football Association (FA) abermals zusätzliche Regeln aufgestellt: ab 1866 gab es die erste Form der Abseitsregel, im sogenannten Sheffield-Code wurden Eckball und Freistoß erläutert, 1870 wurde die Spieleranzahl pro Team auf 11 begrenzt und 1871 erlaubte man es nur mehr dem Torhüter den Ball mit der Hand zu berühren: somit gab es von da an eine klare Abgrenzung vom Rugbysport.
Die Bekanntmachung des Sportes ist hauptsächlich auf englische Militärs und Studenten zurückzuführen. Auf Grund des Erfolges auf der Insel fand die neue Sportart auch den Weg auf das europäische Festland. Der anfängliche Exotensport wurde hier ausschließlich von Männern aus akademischen Kreisen gepflegt, im Gegensatz zum Ursprungsland England, wo den Sport hauptsächlich Personen aus dem Arbeitermilieu betrieben haben.
Die populäre Turnerschaft hierzulande verspottete den neuen Sport auch auf Grund der vielen englischen Ausdrücke, wie z.B. toss (Münzwurf), referee (Schiedsrichter), forward (Stürmer) oder kick off (Anstoß). Deutsche Wörter wurden mit englischen Fachbegriffen zu Sätzen vermischt, wie z.B.: „Der score in der half A beträgt…“ Solche Aussagen sorgten für Erheiterung. Ebenso galt der neue Sport als teuer, da man eigenes Schuhwerk mit harten Sohlen (noch keine Stollenschuhe) und weitere Sportbekleidung benötigte. Für einen Teil der Kicker war eine Kopfbedeckung ebenso ein Muss – nicht auf Grund des Kopfballspiels mit dem harten Lederball, vielmehr als modisches Accessoire. Ein originaler englischer Lederball in höchster Qualität kostete vor dem Ersten Weltkrieg im Fachgeschäft 16 Kronen, in heutiger Kaufkraft umgerechnet ungefähr 110€. Billigere Bälle waren bereits um 10 Kronen zu erwerben, dieser Betrag entspricht heute ca. 70€.
Immer wieder gab es in diversen Zeitungen Kritik zu lesen. Es wurde über die Gefährlichkeit des Fußballsports berichtet, der zu unliebsamen Knochenbrüchen und sogar zum Tod geführt hätte. Daher wurden auch Verbote für den neuen Sport angedacht. Gemeint war der Rugbysport, der in den ersten Jahren namentlich nicht vom Fußball unterschieden wurde, was zu vielerlei Verwirrung und Unsicherheit führte.
Nichtsdestotrotz fanden sich Begeisterte für den neuen Ballsport, die ausschließlich aus akademischen und elitären Kreisen kamen. Eine Vorreiterrolle außerhalb Englands nahm dabei die Schweiz ein. Bereits 1860 wurde der „Lausanne Football and Cricket Club“ gegründet. Der 1879 von englischen Studenten gegründete „FC St. Gallen“ gilt als erster Fußballklub der Schweiz. Von dort aus fand der Fußball seinen Weg nach Italien, Frankreich, Spanien und auch nach Dänemark, ehe er im heutigen Österreich ankam.
Der Fußballimport der Donaumonarchie
In Prag wurde schon ab den 1880er Jahren unter anderem in Schulen Fußball gespielt und so kam es, dass sich 1891 zwei Mannschaften eines böhmischen Vereins beim Fußball erstmalig gegenüberstanden, nämlich bei Regatta Prag, einem Ruderverein. Dieser Riege entstammte auch der in Prag geborene Georg August Wagner, der als steirischer Fußball-Importeur der ersten Stunde gilt. Im Herbst 1893 brachte der Zufall den damals 20-jährigen nach Graz, um im Süden der Donaumonarchie seinem Medizinstudium nachzugehen. Der junge Wagner hatte neben dem Studium noch weitere Pläne, und zwar wollte er andere Studenten von seiner Fußballbegeisterung überzeugen. Wagner lernte das Fußballspiel bereits in seiner Schulzeit in Prag kennen und spielte selbst bei der Regatta Fußball.
Nach kurzer Eingewöhnungsphase in Graz trat der leidenschaftliche Bergsteiger am 24. April 1894 dem „Techniker-Alpenclub“ als offizielles Mitglied bei, um dort sein fußballerisches Wissen unter die Radfahrer, Turner und Bergsteiger zu bringen.
Auf Grund fehlenden Personals für ein 11-gegen-11-Fußballspiel, gründeten fußballinteressierte Mitglieder des Techniker-Vereines, den „Grazer Football Club“. Dieser trainierte der ab Februar 1894 zwei bis dreimal neben der Trabrennbahn, ehe man ab dem 8. April auf den Platz neben der Landesturnhalle übersiedelte. Am 24. Oktober löst sich der neue Fußballverein bereits wieder auf. Eigentlich handelte es sich hierbei um den ersten Fußballverein Österreichs, der aber vermutlich nicht offiziell geführt wurde. Die Mitglieder gründeten noch am selben Tag den „Akademisch-technischen Fußball-Verein“, der als Sparte innerhalb des Akademisch-technischen-Radfahrverein, dem ATRV, anzusehen war. Dies geschah zu diesem Zeitpunkt inoffiziell, die tatsächliche Eingliederung passierte erst im Juni 1895. Zur selben Zeit wurde Wagner auch offizielles Mitglied des ATRV.
Das vermeintlich erste Fußballspiel Österreichs soll sich am 18. März 1894 in Graz zugetragen haben. Auf Grund der oben erwähnten Details kann jedoch das Spiel zu diesem Zeitpunkt nicht stattgefunden haben. Das erste vereinsinterne Fußballspiel des ATRV soll am Platz der Landesturnhalle im Grazer Stadtpark ausgetragen worden sein. Der Kapitän der einen Mannschaft war Wagner selbst, ihm gegenüber stand Kapitän Fritz Wiesler, in dessen Team auch der spätere Nobelpreisträger für Chemie, Fritz Pregl, spielte. Das Endergebnis ist nicht überliefert. Nach heutiger Quellenlage ist davon auszugehen, dass das Spiel erst zwischen Juli und Oktober 1895 ausgetragen wurde.
Der am 22. August 1894 von fußballerprobten Engländern gegründete „First Vienna Football Club“ wird als erster offiziell gegründeter Fußballverein Österreichs geführt. Das erste offizielle Fußballmatch zweier Vereine fand am 15. November 1894 in Wien statt. Gegenüber standen sich der „First Vienna Football Club“ und der einen Tag später gegründete „First Vienna Cricket Club“, welcher das Duell mit 4:0 für sich entschied. Beide Vereine reichten ihre Statuten zeitgleich ein: die Vienna wurde einen Tag früher bewilligt und trägt daher bis heute das „First“ in ihrem Namen.
Das erste Aufeinandertreffen zwischen einem Wiener und einem Grazer Verein fand am 20. Oktober 1895 statt, wobei sich der First Vienna Football Club 5:0 – andere Quellen sprechen von 6:0 – gegen den ATRV durchsetzen konnte. Beim Rückspiel im Mai 1986 folgte ein für die Steirer rühmliches 1:1 Unentschieden.
Ab Jänner 1896 war Wagner mit mehreren Unterbrechungen bis November 1898 offiziell als Fußball-Sportwart (Abteilungsleiter) beim ATRV tätig und auch für die Vereinszeitung verantwortlich. Der Verein verzeichnete zu Beginn des Jahres 1896 insgesamt 84 Mitglieder, darunter 27 Fußballer.
Das erste Grazer Derby fand am 1. November 1896 zwischen dem Grazer Akademischen Turnverein (ATV) und dem ATRV statt, wobei die „Radfahrer“ das Duell mit 2:0 für sich entschieden. Noch im selben Jahr verlor der ATRV gegen den „First Vienna Cricket Club“ mit 4:0. Das erste internationale Wettspiel des steirischen Clubs folgte am 20. April 1897 gegen Regatta Prag, das aus Sicht der Grazer mit 1:2 verloren ging.
Bis Ende 1899 spielte man abwechselnd vereinsinterne Matches oder gegen die zwei Wiener bzw. die Prager Mannschaften. Ab dem 28. Mai 1898 mischte ein weiterer neu gegründeter Verein im Fußball-Graz mit, nämlich die „Grazer Sportvereinigung – GSV“. Am 18. November desselben Jahres traten die meisten Fußballer aus dem ATRV aus, um für die GSV zu spielen. Ohne jemals ein Spiel ausgetragen zu haben, änderte die Sportvereinigung ihren Namen in „Akademischer Sportverein Graz – ASV“. Am 18. März 1900 fand das erste Match der neu formierten Truppe statt und ging mit 6:1 an den Wiener AC, dem Allroundsportverein aus der Hauptstadt, der als großes Vorbild für den später gegründeten GAK diente. Nach der Gründung der ASV verschwanden die Fußballer des ATRV in der Versenkung und der neu formierte Verein der GSV übernahm fortan die Fußball-Vorreiterrolle in Graz. Der mitgliederstarke Klub konnte sogar eine zweite Mannschaft formen. Die ersten Gegner des ASV waren Mannschaften aus der näheren Umgebung wie z.B. Judenburg, aber auch Klagenfurt, oder Vereine aus weiter entfernteren Teilen der Donaumonarchie, wie Laibach und Budapest oder auch Berlin. Noch im Jahr 1900 organisierte sich als Ableger des ASV „Vorwärts Graz“.
Wagners weiterer Weg
Georg August Wagner war bis zum Jahr 1900 aktiv beim ASV tätig, ehe er sich für die letzten Prüfungen seines Medizinstudiums vorbereitete. Am 18. März 1901 promovierte er und verließ Graz in Richtung Wien, wo er sich im Fach Gynäkologie habilitierte. Ab 1917 wurde er Professor an der Karl-Ferdinands-Universität in Prag und übernahm die Leitung der dortigen Frauenklinik. Seine nächste berufliche Station war 1923 an die Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin, der heutigen Humboldt-Universität, fünf Jahre später übernahm er die Leitung der Frauenklinik in der berühmten Charité in Berlin. Offensichtlich wollte er 1931 Berlin verlassen, da er sich um die Leitung der Frauenklinik an der Universität Wien bemühte. Seine Bewerbung wurde jedoch abgelehnt und so blieb Wagner in Berlin.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 in Deutschland folgte eine „Säuberungsaktion“ in der Charité. Kommunisten, Gewerkschafter aber vor allem Jüdinnen und Juden wurden mit sofortiger Wirkung „beurlaubt“. Insgesamt waren davon 135 der 331 HochschullehrerInnen – also über 40% – betroffen. Viele Ärzte der Charité hingegen pflegten in weiterer Folge gute Kontakte zu hochrangigen Nazis. So auch Wagner, der zum Leibarzt von Margret Speer, der Frau von Nazi-Architekten Albert Speer wurde, sowie der Gattin Theodor Morells, welcher wiederum Leibarzt von Adolf Hitler war. Wagner und sein Kollege Walter Stoeckel hatten innerhalb der folgenden 10 Jahren etwa 400.000, teils experimentelle, Zwangssterilisationen zu verantworten. Die Opfer dieser Verbrechen erlitten extremen physischen wie auch psychischen Schaden.
Im Februar 1945, kurz vor Kriegsende, wurde Wagner im Alter von 71 Jahren von seinen Aufgaben an der Charité „entpflichtet“, nur zweieinhalb Jahre später, am 15. August 1947, verstarb der steirische Fußball-Pionier in Garmisch-Partenkirchen.
Weitere Schritte bis zum Krieg
Da der Fußball immer mehr an Beliebtheit in den Grazer Realschulen und Gymnasien gewann, wurde ab dem Sommer 1902 die Monopolstellung des ASV durch die Gründung des Allroundsportvereins „Grazer Athletiksport-Club – GAC“, später GAK, beendet. Von Anfang an konnte der junge Verein sportlich gegen die Platzhirsche mithalten, wie beim allersten Spiel gegen den ASV, welches 3:2 gewonnen wurde. Die neu gegründete Mannschaft bestand großteils aus Oberrealschülern bzw. Spielern des ASV, wie z.B. dem ersten Kapitän und Spielwart des GAK, Franz Egger.
Bereits 1904 trat der GAK, zusammen mit dem ASV, dem Grazer Footballteam 1903, dem SC Cilli, dem SV Judenburg und dem SV Leoben, dem am 18. März desselben Jahres gegründeten „Österreichischen Fußballverband – ÖFV“, dem Vorläufer des „Österreichischen Fußballbunds – ÖFB“, bei. Die Gründung des Weltverbandes „Federation Internationale de Football Association – FIFA“ erfolgte ebenso in diesem Jahr, nämlich am 21. Mai 1904, in Paris.
Durch eine Abspaltung vom GAK entstand im Frühjahr 1905 die „Grazer Sportvereinigung – GSV“, die es ja zuvor schon einmal gab, die wiederum den ASV als Verein ablöste. Die GSV etablierte sich ebenfalls zu einer bedeutenden Kraft im steirischen Fußball (1935 sollte es dann zum dritten Mal zu einer Gründung einer GSV kommen, Anm.). 1906 wurde der erste steirische Fußballwettbewerb mit dem „Grazer Messepokal“ ins Leben gerufen: hierbei standen sich je zwei Teams des GSV und des GAK gegenüber, wobei sich die erste Garnitur des GAK klar durchsetzen konnte.
Im Herbst 1910 wurde der „Deutsch-Alpenländische Fußballverband“, mit den Kronländern Tirol, Vorarlberg, Salzburg, Oberösterreich und der Steiermark, beim k. u. k. Innenministerium angemeldet. Die „nicht untersagte“ Bestätigung wurde am 14. November 1910 entgegengenommen und der vorläufige Sitz wurde in Graz eingerichtet. Dies war die Geburtsstunde des Vorläufers des steirischen Fußballverbandes. Die Erste Sitzung des neu gegründeten Verbandes wurde am 2. Juli 1911 im Hotel „Goldene Birn“, dem heutigen Romantik Parkhotel in der Leonhardstraße, abgehalten. Anwesende Vereine waren: GAK, GSV, Cilli AC, Marburger SV, Knittelfelder SV, FC Schwarze Elf Judenburg und der FC Lustenau. Zum ersten Obmann wurde Landrat Dr. Eduard Krodemannsch vom GAK gewählt. Der Verband wurde dabei in zwei Gaue aufgeteilt: Im Gau 1 befanden sich die Steiermark und Kärnten, die übrigen Kronländer befanden sich im zweiten Gau. Im darauffolgenden Jahr wurde die erste, zweitklassige Meisterschaft ausgetragen (eine erstklassige Meisterschaft konnte erst ab 1920 ausgetragen werden, Anm.). Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Jahr 1914 befanden sich bereits 16 Vereine im Verband.
Am 15. Juni 1913 fand das erste Auswahlspiel des steirischen Fußballverbandes am GAK-Platz statt. Die Mannschaft bestand bis auf drei Ausnahmen aus GAK-Spielern: Leo Fuchs, Robert Plank, Julius Stanger, Max Hruby, August Platzer, Hermann Wenzel, Franz Ircher, Robert Zettinig (alle GAK); Schwarzbier und Fritz Friedrich (Sturm Graz) und Heinz Stiegler (Rapid Graz).
Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde in allen Regionen der Steiermark gekickt und es entstanden neue Vereine mit Spielern aus allen sozialen Schichten. Der Sport war nun nicht mehr nur für einzelne Gruppen interessant, sondern entwickelte sich langsam hin zum Breitensport. Dafür verantwortlich zeichnen einzelne fußballverrückte wie Wagner, es brauchte aber auch finanzielle Unterstützer und Gönner wie auch Lehrer an den Schulen, die sich für den anfänglichen Exotensport einsetzten. Nach dem Krieg gelang der Aufstieg zum absoluten Massen-Phänomen und von da an war der Fußballsport aus dem Alltag vieler Menschen nicht mehr wegzudenken.
Wir gratulieren zu 130 Jahren steirischer Fußballgeschichte und erfreuen uns an den nächsten 130 Jahren!
Dominik Garber
Titelfoto: Der Ort des ersten Fußballspiels in der Steiermark, die Grazer Landesturnhalle zu Beginn des 20. Jahrhunderts © Sammlung Graz Museum
Der Originalbeitrag wurde auf der Homepage des Grazer AK 1902 veröffentlicht: https://www.grazerak.at/