„Einig Spiel führt zum Ziel“

Zur Erinnerung an die jüdischen Fußballer und Funktionäre aus Österreich. Gedanken zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Jänner 2024

FIRST VIENNA FOOTBALL-CLUB. Am 22. August 2024 feiert der First Vienna Football-Club, der älteste österreichische Fußballverein, sein 130-jähriges Bestehen. „Einig Spiel führt zum Ziel“ war und ist das Motto des Döblinger Klubs. Es stammte vom Gründungsobmann der Vienna, Georg „Geo“ Fuchs, einem Wiener Juden, der den Fußballsport bei einem Arbeitsaufenthalt in den USA kennengelernt hatte. Zurück in Wien fertigte er die erste tradierte Übersetzung des Regelwerks dieser Sportart ins Deutsche an. Fuchs war auch für die erste Übersetzung der Spielregeln ins Deutsche in Wien verantwortlich. 1900 übernahm er zusätzlich die Präsidentenstelle der Österreichischen Fußball-Union, einem Vorläufer des Österreichischen Fußball-Bundes. Fuchs, der 1905 schon verstarb, war keine Ausnahme, bei der Vienna engagierten sich viele Wiener Juden. Von der Gründung 1894 bis zum Jahr 1938 waren rund ein Drittel der Funktionäre des Vereins Juden oder jüdische Konvertiten. Bis zum „Anschluss“ standen nur zweimal Nichtjuden an der Spitze der Döblinger. 

Jüdische Partizipation

Das Beispiel der Vienna zeigt, dass Juden und Jüdinnen eine wichtige Rolle in der Entwicklung des Fußballsports in Österreich spielten. Das wissenschaftliche Forschungsprojekt „Jüdische Sportfunktionäre im Wien der Zwischenkriegszeit“ legte 2019 dar, dass sich jüdische Funktionäre in allen großen Wiener Fußballvereinen mit Ausnahme des Wiener Sport-Clubs nachweisen lassen. Bedeutende jüdische Persönlichkeiten – der langjährige österreichische Bundeskapitän Hugo Meisl, die Präsidenten Kurt Hahn und Emanuel Michael Schwarz vom Wiener Amateur-Sportverein (der spätere FK Austria), sowie die Klubpräsidenten Hans Fischer (SC Rapid) und Rudolf Mütz (SK Admira) – lenkten die Geschicke des österreichischen Fußballs sowie der erfolgreichsten Wiener Fußballvereine. Auch im vom Patriarchat bekämpften Fußball der Frauen engagierten sich Jüdinnen wie die jüdische Unternehmerin Ella Zirner-Zwieback, Präsidentin der 1. Damenfußball-Union, sowie Alice Maibaum, selbst aktive Fußballerin und Schriftführerin der Union. 

Als der Fußballsport in den 1890er Jahren in Wien wurzeln schlug, etablierten sich – als Reaktion auf die Ausgrenzung jüdischer Sportler und Sportlerinnen in „deutschen“ Sportarten durch so genannte Arierparagraphen – sukzessive rein jüdische Sportvereine, zunächst im Turnen, später in verschiedenen Sportarten. Von 1899 bis 1938 sind für ganz Österreich rund 110 jüdische Sportvereine, also Vereine, in denen nur Juden und Jüdinnen Mitglied werden konnten, nachweisbar. Allein in Wien entstanden rund 90 jüdische Klubs, die meisten von ihnen Fußballvereine. Zeitweise existierten in der Bundeshauptstadt auch ein jüdischer Sportverband, ein jüdisches Fußballauswahlteam und die jüdischen Fußballmannschaften spielten einen eigenen Cupwettbewerb untereinander aus. Aushängeschild der jüdischen Sportbewegung war der 1909 gegründete Sportklub Hakoah, der sich unter seinen legendären Präsidenten Ignaz Hermann Körner und Fritz Löhner im Laufe der Zwischenkriegszeit zu einem der mitgliederstärksten Allround-Sportvereine Mitteleuropas entwickelte. In seinem Selbstverständnis mehr als ein Sportverein, sah sich die jüdisch-zionistische Hakoah dem Konzept des „Muskeljudentums“ des zionistischen Vordenkers Max Nordau verpflichtet und wollte allen Wiener Juden und Jüdinnen die Möglichkeit geben, frei von Repressionen Sport zu betreiben. 1925 markierte der Gewinn der ersten österreichischen Profifußballmeisterschaft einen der vielen Höhepunkte in der Vereinsgeschichte. Die Hakoah war zudem gerne gesehener Gast im Ausland und inspirierte dort junge Juden und Jüdinnen, Vereine nach ihrem Vorbild zu gründen. Legendär waren die beiden Gastspielreisen 1926 und 1927 in die USA, die die Hakoah als erster österreichischer Verein überhaupt unternahm. Dem Wiener Schwesternverein eiferte auch der 1919 gegründete SC Hakoah Graz nach, phasenweise bildete er neben Grazer AK und SK Sturm die dritte Kraft im steirischen Fußball.

Ausgrenzung

Jüdische Funktionäre und Aktive, ob Mitglieder jüdischer oder nichtjüdischer Vereine, waren immer wieder Zielscheibe antisemitischer Anfeindungen unterschiedlichster Art. Im Zuge der Diskussion um die Einführung des Profifußballs sahen sich seine Befürworter unter den jüdischen Funktionären und Aktiven sowohl von politisch rechter als auch von linker Seite antisemitischer Kritik ausgesetzt. Auch in den unteren Wiener Ligen kam es bei Spielen kleinerer jüdischer Vereine immer wieder zu provozierten, antisemitisch ausgerichteten Auseinandersetzungen.

Exkursion von Vienna-Fans zur Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Mauthausen am 28. Jänner 2023 
© Privatsammlung Alexander Juraske

Mit dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich fand die jüdische Partizipation im Sportgeschehen ein jähes Ende. Politisch missliebige oder jüdische Sportvereine wurden verboten, das Vereinsvermögen in der Regel beschlagnahmt und dem NS-Staat einverleibt. Die nicht-jüdischen Vereine wurden vielfach zu willfährigen Handlangern des NS-Regimes und dessen ideologischen Zielsetzungen. Vereine schlossen umgehend ihre jüdischen Mitglieder aus, ferner wurde diesen der Zutritt zu Sportstätten verwehrt. Von keinem Verein ist bis dato überliefert, dass er sich für seine jüdischen Mitglieder einsetzte. In wohlfeilen Zeitungsinseraten biederten sich diverse Sportklubs an die NS-Machthaber an und behaupteten, seit jeher unter „arischer „Führung gestanden zu haben, was jedenfalls im Fall der Vienna eine glatte Lüge war. In der nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“ nahm auch der organisierte Sport seinen Platz in den Diensten des Regimes ein.

Für die jüdischen Mitbürger und Mitbürgerinnen, die ab 1938 zunehmend aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen wurden, folgten weitere Schritte der Entrechtung, Beraubung und Vertreibung, für viele bis hin zur Ermordung. Unter den Opfern der Shoah befanden sich auch viele der bis 1938 aktiven jüdischen Sportlerinnen und Sportler. Die österreichischen Fußball-Nationalspieler jüdischer Herkunft Otto Fischer, Heinrich Oppenheim, Max Scheuer und Isidor (Emil) Weinberg sowie der in Wien geborene ungarische Nationalspieler Paul von Goldburger wurden im Holocaust ermordet. Auch der langjährige Hakoah-Präsident Fritz Löhner fiel dem nationalsozialistischen Terrorregime zum Opfer. Er und die anderen Erwähnten stehen als prominiente Beispiele für die lange Reihe von Aktiven und Funktionären kleinerer Vereine und ihren Familien, die alle ihr Leben im Rahmen des nationalsozialistischen Terrors verloren.

Bewusstsein durch Erinnerungskultur

Nach 1945 gehörten der österreichische Nationalspieler Hans Menasse von der Vienna und der langjährige Klubsekretär des FK Austria und Auschwitz-Überlebende Norbert Lopper zu den wenigen jüdischen Protagonisten im österreichischen Fußball. Loppers Klub, der FK Austria, der nach 1945 die stärkste personelle Kontinuität jüdischer Funktionsträger aufwies, wird deshalb von Gegnern auch heute noch als „Judenverein“ diffamiert. Nach 1945 rekonstituierte sich der SC Hakoah und unterhielt kurzfristig wieder eine eigene Fußballsektion, die aber in den Nachkriegsjahrzehnten eingestellt wurde. Aktuell lässt der 1995 gegründete SC Maccabi Wien, der in der 2. Wiener Landesliga spielt, die Erinnerung an die große jüdische Fußballtradition in Wien wiederaufleben. In seinen sieben Mannschaften spielen Spieler unterschiedlicher Nationalitäten und Religionen zusammen.

Hans Menasse (1930 – 2022), hier der ehemalige Nationalspieler im Jahr 2016, war nach 1945 eine der wenigen jüdischen Konstanten im österreichsichen Fußball © Privatsammlung Alexander Juraske

In den letzten zwanzig Jahren haben Einzelpersonen und Initiativen, meist aus der Fanszene, damit begonnen, an die vertriebenen und ermordeten jüdischen Funktionäre und Spieler zu erinnern. Deren Schicksal wurde erstmals wieder sichtbar und in den jeweiligen Vereinen thematisiert. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten reagierten mehrere Klubs auf diese wichtigen Initiativen ihrer Fans und Mitglieder und gaben, wie etwa SK Rapid oder der FK Austria, geschichtswissenschaftliche Arbeiten über ihre Vereinsgeschichte in der NS-Zeit in Auftrag, die einen neuen Blick auf Opfer und Täter ermöglichten. Die „First Vienna Football-Club 1894 Supporters, begannen als erste österreichische Fangruppe, Fahrten in die KZ-Gedenkstätte Mauthausen zu organisieren, wo seit einigen Jahren eine Themenführung zu „Fußball im Konzentrationslager“ angeboten wird. Bislang wurde die Erinnerungsarbeit an ermordeten jüdischen Klubmitgliedern in den Vereinen oft durch engagierte Einzelpersonen oder Gruppen aus den jeweiligen Fanszenen geleistet. Gerade der Österreichische Fußballbund steht aber ebenso in der Verantwortung, seiner ehemaligen Spieler und Funktionäre zu gedenken, sich aktiv in Themen der Erinnerungskultur einzubringen und die meist ehrenamtliche Arbeit von Einzelpersonen oder Initiativen zu unterstützen. Aufklärung und Erinnerung durch Auseinandersetzung, nicht nur am 27. Januar, dem Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust, sind gegenwärtig wichtiger denn je, denn antisemitische Vorfälle nehmen in allen gesellschaftlichen Bereichen zu, so auch im Fußball.

Alexander Juraske


Titelfoto: Georg „Geo“ Fuchs, der Gründungsobmann des First Vienna Football-Club 1894 © aus: Festschrift Vienna 1919 

Alexander Juraske ist Autor und Historiker, ehrenamtlicher Vereinshistoriker des First Vienna Football-Club 1894, Forschungsschwerpunkte: Sport- und Fußballgeschichte, speziell jüdische Sportvereine. Zahlreiche Publikationen. Weitere Informationen unter: https://www.juraske.at/ – sein neuests Buch über den österreichischen Nationalspieler Otto Fischer (Hertha, Vienna, Hakoah, Wacker), der 1941 von den Nazis ermordet wurde, erscheint im Frühjahr 2024: https://www.hentrichhentrich.de/buch-otto-schloime-fischer.html

Der Originaltext erscheint am 27. Jänner 2024 auf der Homepage des Grazer AK 1902: https://www.grazerak.at/

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